23.2.2017 | Pressemitteilung des Netzwerks »In einer Schule gemeinsam lernen«

 

Baden-Württemberg braucht die Gemeinschaftsschulen

Netzwerk erwartet klares Bekenntnis der Landesregierung zu Gemeinschaftsschulen


STUTTGART – Das landesweite Netzwerk »In einer Schule gemeinsam lernen« setzt sich für mehr Unterstützung der Landesregierung für die Gemeinschaftsschulen ein. Das breite Bündnis kritisiert, dass die Stellenstreichungen und die mangelnde Unterstützung der jungen anspruchsvollen Schulart schaden.

Das Netzwerk aus gut 30 Organisationen, das sich bereits vor der Landtagswahl 2011 für eine Schule einsetzte, in der die Kinder bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen, hat seine Arbeit wieder aufgenommen. Es sieht die Gemeinschaftsschulen im Land auf einem guten Weg. »Das anspruchsvolle Lernkonzept braucht qualifizierte Unterstützung. Die Gemeinschaftsschulen arbeiten mehr als alle anderen weiterführenden Schulen inklusiv, sie bieten den Ganztag für alle an und unterrichten viele geflüchtete Kinder. Dafür brauchen sie mehr Personal. Besondere Aufgaben brauchen besondere Unterstützung«, sagte am Donnerstag (23.02.) in Stuttgart Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

»Das Interesse an Gemeinschaftsschulen wächst bei Eltern und Schulträgern. Auch die Begleitforschung zeigt, dass die Eltern mit der Schulwahl für ihre Kinder zufrieden sind. Über die Akzeptanz und den Erfolg von Gemeinschaftsschulen entscheiden deren Qualität und pädagogische Attraktivität. Die Schulen gestalten neue pädagogische Konzepte, werden der Verschiedenheit aller Schülerinnen und Schüler gerecht, organisieren den gebundenen Ganztag und sie haben die berufliche Orientierung im Blick und gestalten Gemeinsames«, sagte Rosemarie Daumüller vom Landesfamilienrat.

»Wir brauchen endlich ein Schulsystem, das integriert und auf Teamarbeit setzt. Diese Eigenschaften zeichnen übrigens auch erfolgreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen aus. Angst, Ausgrenzung und Druck sind kontraproduktiv für nachhaltiges und lebenslanges Lernen und für eine positive Einstellung zur Schule. Darum braucht Baden-Württemberg die Gemeinschaftsschulen. Wir erwarten von der Landesregierung, dass die Zusagen im Koalitionsvertrag mit Leben erfüllt werden«, sagte Matthias Wagner-Uhl vom Verein für Gemeinschaftsschulen. Das Netzwerk setzt sich für eine bessere Qualifizierung aller Schularten im Umgang mit Heterogenität ein.

Teilnehmer des Netzwerk-Treffens
Aktion Jugendschutz, bildung neu denken e.V., DGB, Diakonie Württemberg, Freiburger Bündnis »Eine Schule für alle«, Initiative zur Förderung Rechenschwacher Kinder, GEW, Eltern für Gemeinschaftsschule, Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschulen Baden-Württemberg, Bündnis 90/Die Grünen, Baden-württembergischer Handwerkstag, Landesfamilienrat, Landesverband der Lebenshilfe Baden-Württemberg, Die Linke, Schule neu denken, SPD, Elternnetzwerk im Verein für Gemeinschaftsschulen, Aktion Humane Schule, Verein länger gemeinsam lernen Baden-Württemberg, Schule mit Zukunft, Verein für Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg.

Rückfragen über die GEW: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!– Tel. (0711) 21030-14 (Matthias Schneider)

Das Grußwort von Hermann Maier, Leiter des Amtes für Schule und Bildung der Stadt Freiburg, zur Veranstaltung »Länger gemeinsam Lernen in Freiburg« am 16. November 2016 stellt ein beeindruckendes Plädoyer für ein schülergerechtes und demokratisches Schulwesen dar. Herr Maier hat uns sein Redemanuskript freundlicherweise zur Veröffentlichung überlassen. 


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie herzlich zur heutigen Veranstaltung des Freiburger Bündnisses: »Eine Schule für alle« zum Thema »Länger gemeinsam lernen in Freiburg« willkommen heißen.

Heute Abend werden sich Schulen vorstellen, in denen in Freiburg Schülerinnen und Schüler länger gemeinsam lernen. Was verbirgt sich dahinter? Warum ist das Thema heute gerade so wichtig?

Wir zählen zu einem der wenigen Länder, das nach vier gemeinsamen Schulbesuchsjahren in der Grundschule eine Zäsur legt und aufbauend auf die Grundschule ein unterschiedlich ausgestaltetes weiterführendes Schulsystem vorhält.

Das ursprünglich dreigliedrig in Hauptschule, Realschule und Gymnasium aufgeteilte Schulsystem ging von der Annahme aus, dass die Grundtalente aller Schülerinnen und Schüler sich dieser Systematik unterordnen ließen und dass über diese Form der Homogenisierung der Schularten die Leistungsfähigkeit des Schulsystems definiert würde.
Nicht erst die PISA-Studien haben uns anderes aufgezeigt! Schon länger steht in Deutschland die Frage der Gerechtigkeit und Angemessenheit des Schulsystems angesichts eines sich ändernden Gesellschaftsgefüges im Raum.

Sielert formulierte 2007 die Anforderungen an Lehren und Lernen angesichts zunehmender Bewusstheit über die Rechte und Chancen von Unterschiedlichkeit in jederlei Hinsicht in der Gesellschaft, sei es kultureller Art, der geschlechtlichen Orientierung, der individuellen Lebensentwürfe, religiöser Zugehörigkeit, der Gesundheit oder dem Vorliegen einer Beeinträchtigung welcher Art auch immer, folgendermaßen:

»Ohne Angst verschieden sein können und die Kraft der Vielfalt nutzen«

Dieses Postulat einer pädagogischen Arbeit und dieser Auftrag an die Schulen spiegelt die Realität und die Bedürfnisse unserer städtischen Gesellschaft wider. Wir sind viele, werden täglich immer mehr und die Vielfalt und Unterschiedlichkeit nehmen zu. Und wir sagen dazu: das ist eine Bereicherung für uns alle, wenn wir uns den Herausforderungen optimistisch und konstruktiv stellen.

Das Thema »Länger gemeinsam Lernen« hat daher nicht nur eine bildungspolitische, sondern insbesondere auch eine sozial- und gesellschaftspolitische Dimension.
Der Grundauftrag von schulischer Bildung zielt darauf ab jedem Menschen unabhängig von seinen individuellen Gegebenheiten zu bestmöglicher Entfaltung seiner Fähigkeiten und Potenziale zu verhelfen und ihn dadurch zu befähigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und an der Ausgestaltung des gesellschaftlichen Lebens aktiv teilzuhaben.

Dies gelingt heute nur dann, wenn fachliches Lernen verbunden ist mit den Auseinandersetzungen mit der bestehenden gesellschaftlichen Wirklichkeit, die unter anderem darin besteht, dass Menschen unterschiedlich sind, denken und handeln. Gerade vor dem Hintergrund pluraler und globaler Entwicklungen in der Gesellschaft ist es erforderlich, das Gemeinsame und das Unterschiedliche immer wieder zu nutzen, es in gemeinsamer Auseinandersetzung zu betrachten und zu reflektieren.

Wenn nicht hier, wo sonst geschieht Werteerziehung? Demokratisches Denken und Handeln sind unerlässliche Voraussetzungen dafür, den schulischen Alltag miteinander so zu gestalten, dass jede Person darin einen zufriedenstellenden Platz nicht nur findet, sondern aktiv ausgestalten kann. Hierdurch entwickeln sich auch in einem schulischen Sinne betrachtet überfachliche Kompetenzen bei allen Beteiligten.

Die Ergebnisse aktueller Bildungsstudien lassen die Debatte wieder aufflammen, in welcher Weise die Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern verbessert werden könne. Die Tendenz zu Vereinfachungen und zu Verengungen der Betrachtungsweise – sowohl dessen, was unter Leistungsfähigkeit verstanden wird, wie auch wie sie erhöht werden kann, ist unverkennbar.

Gleichzeitig ist es aber legitim und unverzichtbar, die Leistungsfähigkeit einer Schule auch danach zu betrachten, wie es ihr gelingt der Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden und sie ergänzend zu den überfachlichen Kompetenzen auch zu fachlich hohen Leistungen, zu gut ausgeprägtem Wissen und Können zu führen.

Dass dies pädagogisch eine große Aufgabe ist, ist unbestritten, und die anwesenden Lehrkräfte wissen dies nur allzugut. Dass die Aufgabe gelingen kann, ebenso. Hierfür sind die heute anwesenden Schulen die besten Beispiele.

Ich danke daher den Veranstaltern für die Initiative für diesen Abend, den Schulen für ihr Kommen und dass sie sich selbstbewusst zeigen, und Ihnen, sehr verehrten Anwesenden, für Ihr Interesse. Ich bin mir sicher, wir werden einen anregenden Austausch erleben.

In einer kritischen Stellungnahme zu den jüngsten Äußerungen des Berufsschullehrerverbandes (BLV) zu Gemeinschaftsschule und allgemeinbildendem Gymnasium ruft der Landeselternbeirat zur Solidarität unter den Schularten auf. Wir wünschen dieser Stellungnahme viele LeserInnen.

Egoismus ist kein gutes Leitprinzip für Bildungspolitik (PDF)